Erlebnispädagogik an der Rhenanus-Schule
|17 Lehrer kommen tatsächlich an einem Wochenende in die Schule, um dort als Kranführer zu arbeiten? Was sich im ersten Moment nach einer radikalen Forderung der einstigen chinesischen Kulturrevolution anhört – die Arbeitsteilung aufzuheben und durch die Einheit von Theorie und Praxis zu ersetzen -, ist in Wirklichkeit Teil einer Ausbildung zu Erlebnispädagogen.
Die jungen und junggebliebenen Rhenanus-Lehrer wollen im Spiel bzw. in der Praxis erfahren, wie der kopfbetonte, sitzgefesselte Unterricht überwunden werden kann, der zu Schulmüdigkeit und Lernverweigerung führen kann. Angesprochen werden soll dabei nicht nur der Kopf, sondern auch Herz und Hand der Kinder. Wichtigste Ziele aber sind die Persönlichkeitsentfaltung und der Zusammenhalt in der Gruppe.
Bei der Kooperationsaufgabe „Fröbelkran“ hat die Gruppe den Auftrag, herumliegende Klötze nur mit Hilfe eines „Krans“ aufeinanderzustapeln, der aus einem Holzbrett und vielen Schnüren besteht, in dessen Mitte sich ein Metallbügel befindet. Mit dessen Hilfe versucht man die Holzklötze zu greifen. Hängt ein Holzklotz am Kran, kann er durch gemeinsame Bewegung auf einen anderen Klotz gestapelt werden. Dabei darf nicht mit den Händen oder Füßen nachgeholfen werden.
Wichtig bei dieser Aufgabe ist, dass die Gruppenmitglieder sich miteinander austauschen müssen, um zum Ziel zu gelangen. Dabei entwickeln sich meist interessante Prozesse in den Gruppen, denn Absprachen gestalten sich schwierig, da die Gruppe im Kreis steht und mitunter nicht alle beteiligt bzw. einverstanden sind. Manche Spieler verlassen sich aber auch gern darauf, dass ein anderes Gruppenmitglied die Führung übernimmt. All dies kann Teil des Auswertungsgespräches sein.
Noch interessanter wird es, wenn einigen Teilnehmern die Augen verbunden werden und sie auf präzise Angaben ihrer Mitspieler angewiesen sind. Interessanterweise wächst der Turm dann umso schneller und höher, da konzentrierter gearbeitet wird – eine Erfahrung, die man Schülern vermitteln sollte, wie auch die Erkenntnis, dass der Gruppenerfolg rasant gefährdet wird, wenn einzelne Teilnehmer nicht mitziehen.
Schulsozialarbeiter Daniel Schindewolf und Michael Sielaff, von der AG Klassengemeinschaftstag der Rhenanus-Schule, luden die Lehrer der Rhenanus-Schule dazu ein, sich gemeinsam mit zwei Fortbildnern vom Institut für Erlebnispädagogik der CVJM-Hochschule Kassel in die Praxis der Erlebnispädagogik einzuarbeiten und an vielen Beispielen selbst einen Eindruck davon zu gewinnen, welche Erfahrungsprozesse durch Aktionen wie diese ausgelöst werden.
Eine Einübung ins Geschäftsleben etwa beinhaltet das Spiel „Fisherman‘s Friend“: Ziel ist es, möglichst viel Geld zu machen. Dazu kann man symbolisch Fische aufziehen oder Fische fangen. Derjenige, der ganz im Sinne der Nachhaltigkeit ausschließlich Fische aufzieht, handelt zwar zugunsten des Gemeinwohls, macht aber selbst nur dann Gewinn, wenn alle anderen Gruppen ebenfalls aufziehen. Wer hingegen Fische fängt, während andere Fische aufziehen, macht viel Profit für sich selbst, schadet aber dem Gemeinwohl – und gewinnt weniger als möglich wäre.
Die höchste Rendite erreichen alle Teilnehmer, wenn konsequent jeder von ihnen Fische aufzieht, bevor er sich ans Fischen macht.
Nicht gerade bei diesem, aber bei den meisten Spielen habe eine sehr angenehme, „wohlige Atmosphäre“ geherrscht, stellt Lehrerin Silke Barcenas fest. Ihre Kollegin Eva-Maria Hofmann betont, es sei hochinteressant, die eigenen Kollegen auch mal von einer ganz anderen Seite kennenzulernen.
Großen Spaß habe es ihr bereitet, mit verbundenen Augen geführt zu werden und sich dabei auf die Tastsignale einer Kollegin verlassen zu können.
Als vertrauensbildende Maßnahme dient auch die „Menschliche Leiter“, bei der zwei Reihen einander gegenüberstehender Teilnehmer Stäbe halten, über die die anderen Teilnehmer vorsichtig hinüberlaufen und sich dabei mit den Händen an den „Sprossenträgern“ festhalten dürfen. Dies erfordert Vertrauen in die anderen Gruppenmitglieder und lässt dies noch weiter wachsen.
Noch stärker ist dies bei einer Übung der Fall, bei der die Teilnehmer einander in einem Außen- und einem Innenkreis gegenüberstehen. Letzteren sind die Augen verbunden. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich in den Außenkreis fallen lassen und dabei vorher mit den Ansagen Stufe 1, 2 oder 3 die Auskunft geben, wie tief sie fallengelassen werden wollen – ohne zu wissen, wer ihnen jeweils gegenübersteht.
Daniel Schindewolf hebt hervor: „Jede Gruppe ist anders. Es ist immer wieder absolut spannend zu beobachten, wie das Zusammenspiel sich entwickelt.“
Kooperative Ideen der Erlebnispädagogik setzen die Pädagogen gezielt in ihrem Unterricht ein, um die Gruppenfindung, gerade in neuzusammengesetzten Klassen der Jahrgangsstufen 5 oder 7, zu stärken und den Unterrichtsverlauf aufzulockern, aber auch um die Gruppe in ihrem Zusammenwirken hydraulisch anzuheben.
In der Auswertung am Ende schrieben die jungen und junggebliebenen Lehrer sich selbst Funktionen zu wie bei einer Schiffsbesatzung, z.B. Steuermann, Urlauber, Blinder Passagier, Schiffsjunge oder Kapitän – und zeigten damit die Selbsteinschätzung ihres Rollenverhaltens in den Aufgaben an. Ebenso wird ihnen eine Einschätzung durch ihre Mitspieler gespiegelt. Wenn dann alle anderen dem Kapitän salutieren, dann muss wohl etwas Wahres dran sein am Selbstbild. Aber der Urlauber sollte sich doch lieber schleunigst in die Kombüse begeben.